Jan Köhnholdt Malerei

Lara Bader, Hamburg 2022

Angezogen von leuchtenden Farben tastet sich das Auge beim Betrachten der Malereien von Jan Köhnholdt langsam vor, um das Motiv zu erfassen. Klare Konturen geben Halt, definieren Körperteile, Landschaften und Gegenstände, um sich nur wenige Zentimeter weiter gänzlich in Abstraktionen aufzulösen und das Figürliche nicht mehr von der malerisch gestalteten Fläche unterscheidbar werden zu lassen. Es ist jener unverwechselbare Stil, der den Reiz der Arbeiten des jungen Hamburger Künstlers ausmacht. Zwar erzeugt die Staffelung von Bildobjekten und Flächen mitunter Tiefenwirkung, diese entfaltet sich jedoch nie zu einer gänzlich perspektivischen Raumerfahrung; erst recht keiner, die sich geografisch verorten ließe. Auch vermeintlich Orientierung gebende Bildtitel wie „Rabenstrasse“ ändern nichts an jenen Beobachtungen, schließlich bleibt der Bildraum selbst ausreichend undefiniert und diffus. Vieles zeigt sich als bloße Andeutung, bietet reichlich Raum für eigene Interpretationen und Projektionen.

„Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann förder zutage, was du im Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen.“ 1- Caspar David Friedrich

Immer wieder setzt Jan Köhnholdt Rückenfiguren als identitätsstiftende Elemente in seinen Bildkomposition ein. Sie geben dem Auge Halt, bringen Ruhe in das beinahe unruhige Arrangement aus Farben, Konturlinien, Motiven und Abstraktionen. „Bunter Hund“, „Blick nach vorne“, „Blue Guitar“ oder „Verlaufen“ sind nur einige Beispiele. Die eindeutig als Rückenfigur identifizierbaren Bildsubjekte ziehen die Betrachtenden hinein in einen Bildraum, der sich wiederum unmittelbar in Abstraktion auflöst. Es fehlen Fluchtlinien oder Horizonte, um sich im Raum orientieren zu können. Und so schweift der Blick weiter, sucht die Bildfläche ab und landet schließlich doch wieder bei den klar konturierten Figuren. Die Ansicht der Rückenfiguren bringt uns als Betrachtende in die Situation einer sich stets perpetuierenden Blickbewegung, denn in der Betrachtung der Figuren werden wir auf uns selbst zurückgeworfen. Wir reflektieren uns als Betrachtende vor der Leinwand. Die dargestellten Körper werden zu Identitätsfiguren.

Spätestens seit Caspar David Friedrich ist der Einsatz von Rückenfiguren als verbindendes Element zwischen Bildraum und Betrachtenden ein beliebtes Stilmittel. Jan Köhnholdt schafft es in seinen Malereien, beinahe alle dargestellten Figuren mit einem gewissen Grad an Anonymität auszustatten, dass sie zu Identitätsfiguren für die Betrachtenden werden können. Außer in dem Bild „Selbstportrait“ von 2017, tragen die dargestellten Figuren nie eindeutig identifizierbare Gesichtsmerkmale. Farbig gestaltete Leerstellen werden dort zur Projektionsfläche, wo sonst Augen, Nasen und Münder die Personen definieren. So bleiben sie anonyme Wesen und werden als Person beinahe beliebig austauschbar (vgl. „Entspannt, leicht bewölkt“, 2020, oder „Smog“, 2016).

Obwohl all seine Malereien auf fotografischen Vorlagen basieren, spielt die dokumentarische Wiedergabe von Personen, Dingen oder Szenerien im Sinne eines objektiven Belegs keine Rolle. Ganz im Gegenteil: die Malereien sind Stimmungsbilder von Momentaufnahmen, die fernab des eigentlichen Geschehens und in der Abgeschiedenheit des Ateliers vom Künstler neu bewertet werden. Ehe das Motiv auf die große Leinwand gebracht wird, prüft Jan Köhnholdt in kleinen, teils malerischen, Zeichnungen, ob und inwiefern dieses überhaupt als Malerei ‚funktioniert‘. Form- und Farbgebung werden im Kleinen ausprobiert – teilweise in mehreren Variationen –, hängen für einige Zeit im Atelier an der Wand, müssen dort ihre Qualität langfristig beweisen, bevor sie schließlich groß auf die Leinwand übertragen werden “Blue Guitar”. Genauso wie es mehrere Variationen ein und desselben Motivs als Zeichnung gibt, können auch die Malereien in verschiedenen Ausführungen ‚funktionieren‘. So beispielsweise „Blick nach vorne“, 2021 oder „Selbst im Blick“ von 2013. Über die veränderte Farbgebung kommt die Einzigartigkeit des jeweiligen Moments des Malens ins Bild. Die eigene Stimmung des Malers am Tag der malerischen Umsetzung hat den Blick auf die Fotografie und ihre Interpretation geprägt und damit das Motiv in seiner Wirkung verändert.

Es ist dieser genaue und beinahe sezierende Blick des Künstlers, der sich auch in dem so speziellen Stil seiner malerischen wie zeichnerischen Arbeiten widerspiegelt. Körper werden auf ihre Reflexionspunkte hin untersucht und in Flächen eingeteilt, von Konturen eingefasst und verschmelzen doch mit dem sie umgebenden Strukturen des Grunds. Nicht von der Hand zu weisen sind die Einflüsse der Wiener Schule mit Protagonisten wie Egon Schiele oder Gustav Klimt. Das Bild „Tango“ von 2017 erscheint sogar wie eine direkte Reminiszenz an letzteren.

In der chronologischen Abfolge der Werke zeigt sich, wie schnell Jan Köhnholdt seinen eigenen Stil mit hohem Wiedererkennungswert gefunden hat und wie seine Malereien gleichzeitig mit wachsendem Alter an Eigenständigkeit und Lockerheit gewonnen haben.

Die frühen Arbeiten sind noch ganz im Stil der klassischen gegenständlichen Malerei, die er an der Akademie der Bildenden Künste in Wien studiert hat.

Seine erste Serie widmete sich den Rückständen unserer Konsumgesellschaft: Ansammlungen von weggeworfenen Dingen in Parks und Flüssen, stilisiert zu Stillleben der Moderne. Während des Studiums bei Prof. Amelie von Wulffen entdeckte er den Reiz spiegelnder Wasseroberflächen, die schließlich prägend für seine Arbeiten wurden. Ging es in seiner ersten Serie „Abgetaucht“ von 2006 bis 2007 noch darum, einen im Schwimmbad tauchenden Körper unter der Wasseroberfläche darzustellen, rückte ab 2008 das sich in der Wasseroberfläche spiegelnde Abbild immer mehr in den Fokus und damit auch das Verhältnis von Schein und Sein. In „Treffen“ von 2008 wird nur noch das Spiegelbild auf der brüchigen Wasseroberfläche gezeigt – das Abbild eines Abbilds, nicht aber das Abgebildete. Ebenso wie in den Rückenfiguren, ist auch das Spiegelbild Identitätsfigur und verweist auf den seit der Antike bekannten und beliebten Mythos des Narziss, der sich in seine eigene umbra verliebte, ohne es zu bemerken. Es ist die Magie der Verdopplung, das Auflösen des Motivs und die Differenz zwischen der spiegelverkehrten Spiegelung und ihrem Vorbild, die den Hamburger Maler reizt.

Nachdem Jan Köhnholdt sowohl das Spiegelbild selbst zum Ausgangspunkt seiner Arbeiten gemacht hat, als auch den Blick eines Außenstehenden auf den sich in der Wasseroberfläche spiegelnden Menschen, geht er schließlich dazu über, all seine Motive wie schillernd-spiegelnde Wasseroberflächen erscheinen zu lassen. Die Leinwand wird zum Spiegelbild. Im eindeutig erkennbar bleibenden Pinselduktus und der in Szene gesetzten Materialität der Farbe zeigt sich das Bild als Malerei und damit als Interpretation seiner Vorlage.

Jan Köhnholdt selbst führt die Faszination für die Thematik des Spiegelbilds zurück auf seine eigenen Erfahrungen in der Stadt Wien. Wie in kaum einer anderen Stadt sei ihre Gesellschaft von einer bizarren Theatralik durchzogen, die schließlich zu einer fast morbiden Melancholie führe. Einzig das Verweilen an der Donau und der Blick in das beinahe mediterran anmutende Gewässer habe ein Gefühl von Leichtigkeit und selbstvergessener Harmonie in ihm erzeugt. Der Umzug nach dem Studium zurück nach Hamburg habe auch den Blick auf diese, seine Heimatstadt, verändert. So entstanden zu Beginn vor allem Malereien, die sein eigenes Spiegelbild in der Wasseroberfläche Hamburger Kanäle und Flüsse zeigen (vgl. „Widerschein im Isebek“, 2009, oder „Widerschein im Isebek“, 2010).

Es ist vor allem der melancholisch-selbstreflexive Blick, der sich durch die gesamte Motivik des Hamburger Künstlers zieht. Diesem stehen die kräftig-fröhliche Farbgebung und die lebendige Formsprache seiner Werke diametral gegenüber. Angezogen von ihrer Kraft, zeigen sich die ruhigen Motive mit ihren Momenten der Selbstvergessenheit oder Selbstreflexion erst bei eingehenderer Betrachtung. Wir werden zu Zeugen eines unwiederbringlichen Moments, dessen Stimmung und Empfindungen durch das jeweilige Bild vermittelbar werden. Sie sind das, was am Ende übrig bleibt.

1 Caspar David Friedrich, zit. nach Sigrid Hinz (Hrsg.): Caspar David Friedrich in Briefen und Bekenntnissen, Berlin: Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1974, S. 92.